Scholz auf TikTok: Influencer-Experte bewertet die Performance des Kanzlers

Seit knapp einem Monat sind Olaf Scholz und das Bundespresseamt als TeamBundeskanzler auf der chinesischen Social Media-App TikTok aktiv. Anlässlich dessen ordnet Marlon Giglinger, Mitgründer und Geschäftsführer der Influencer-Agentur Netzschreier, die bisherige TikTok-Performance des Kanzlers anhand von fünf Kriterien ein. Netzschreier ist bereits seit 2015 für das Management von verschiedenen Content Creatorn verantwortlich und unterstützt Unternehmen im Bereich Influencer-Marketing. Insgesamt hat die Berliner Agentur bereits mehr als 5.000 Influencer-Kooperationen und -Kampagnen betreut. Dem Kanzler traut Marlon Giglinger zu, der größte TikTok-Influencer des Bundestags zu werden.

1. Das Potenzial von TikTok

Über TikTok erreicht Olaf Scholz die Gen Z deutlich besser als über klassische Medien oder andere soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram oder X. Das kann auch deshalb wichtig sein, da bislang insbesondere Politiker von Oppositionsparteien erfolgreich auf der chinesischen Kurzvideo-Plattform kommunizieren. Gleichzeitig kann Scholz über TikTok möglicherweise auch seine allgemeine Außenwahrnehmung verbessern, denn mehr als die Hälfte der Deutschen bewerteten seine Arbeit als Bundeskanzler im April als schlecht. Vor allem ausländische Politiker haben bereits vorgemacht, dass mit Hilfe von TikTok ein regelrechter Imagewandel möglich ist.

Ein besonders extremes Beispiel hierfür ist Prabowo Subianto. Der indonesische Ex-General, der in Deutschland vorrangig wegen seiner Menschenrechtsverletzungen während der Suharto-Diktatur bekannt ist, präsentierte sich auf TikTok erfolgreich als netter, alter Mann und gewann wohl auch deshalb im Februar die Wahl in der drittgrößten Demokratie der Welt. 

Scholz hingegen wird unter anderem dafür kritisiert, zu wenig zu kommunizieren und kaum nahbar zu sein. Sein TikTok-Auftritt könnte helfen, den Menschen Olaf Scholz stärker in den Vordergrund zu rücken und dadurch Sympathiepunkte zu sammeln. Gleichzeitig setzt sich der Kanzler auf TikTok der Gefahr aus, verstärkt von Shitstorms und politischer Anfeindung betroffen zu sein.

2. Die Content-Strategie

Statt Video-Inhalte von anderen Plattformen einfach auf TikTok zu reproduzieren, erstellt das Social Media-Team des Bundespresseamts überwiegend eigenen Content für TikTok. Das ist sehr wichtig, da auf TikTok oft komplett andere Inhalte als auf Instagram oder YouTube gut funktionieren. Diesbezüglich präsentieren sich Scholz und sein Team offen für unterschiedliche Ansätze.

So hat das TeamBundeskanzler mit “Frag den Kanzler” beispielsweise schon im ersten Monat ein eigenes Format etabliert und bietet TikTok-Nutzern regelmäßig die Möglichkeit, Fragen an Olaf Scholz zu stellen und von diesem beantworten zu lassen. Darüber hinaus meldet sich der Kanzler auf TikTok oft zum aktuellen politischen Geschehen persönlich zu Wort, ordnet seine Entscheidungen ein und gewährt Einblicke in seinen Arbeitsalltag. Zudem präsentiert das TeamBundeskanzler immer wieder seine Aktentasche, die er bereits seit Jahrzehnten nutzt.

Mitunter werden über den Account aber auch Meme-ähnliche Videosequenzen veröffentlicht, in denen sich Olaf Scholz mal bewusst und mal unfreiwillig komisch präsentiert. Beispielsweise hat das TeamBundeskanzler ein Kurzvideo hochgeladen, in dem Scholz bei einer Brauereibesichtigung von der Besitzerin ermahnt wird, sein Bier während eines Fotoshootings für die Presse nicht zu trinken, was Scholz trotzdem tut. Ein anderer Clip zeigt Scholz beim Brezelbacken in einer Berliner Bäckerei. Beide Videos wurden bereits mehr als 1,6 Millionen Mal angeschaut. Die mit Abstand meiste Aufmerksamkeit erhielt Scholz auf TikTok aber tatsächlich, als er mit niemand Geringerem als Deutschlands reichweitenstärksten TikToker, Younes Zarou, ein gemeinsames Tanzvideo drehte. 

3. Followerschaft und Engagement

Bereits nach knapp über einem Monat folgen Olaf Scholz und dem TeamBundeskanzler rund 230.000 TikTok-Accounts. Damit hat der Kanzler auf TikTok schon jetzt über 100.000 Follower mehr als auf seinem persönlichen Facebook-Account. Zudem ist er in wenigen Wochen zum dritterfolgreichsten deutschen Bundestagsabgeordneten auf der Videoplattform aufgestiegen. Lediglich Sahra Wagenknecht (320.000 Follower) und Alice Weidel (279.000 Follower) haben aktuell noch mehr Follower als der Kanzler. Allerdings ist es gut möglich, dass das TeamBundeskanzler bis zur Europawahl am 09. Juni bereits mehr Follower als die zwei Oppositionspolitikerinnen erreicht.

Tatsächlich interagieren bereits heute deutlich mehr Menschen mit den Videos von Scholz als mit den Beiträgen von Weidel und Wagenknecht. So werden die TikTok-Videos des TeamBundeskanzler nicht nur tausendfach kommentiert, sondern 15 Beiträge haben auch schon über eine Million Views. Einen Beitrag mit einer derart hohen Reichweite hat Sahra Wagenknecht zuletzt im Januar auf TikTok abgesetzt,  als sie eine Bundestagsrede von sich veröffentlichte, in der sie zu einem Rundumschlag gegen Scholz und die Ampel-Regierung ausholte. Bei Alice Weidel ist es sogar schon fast ein Jahr her, dass ein Beitrag von ihr über eine Million Views erhielt. In diesem warb Weidel dafür, Robert Sesselmann zum ersten AFD-Landrat zu wählen. 

4. Reputation

Mit seinem TikTok-Auftritt polarisiert Scholz auf der Plattform und auch abseits davon. So hat beispielsweise Ferda Ataman, die unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Scholz öffentlich dafür kritisiert, die Plattform zu nutzen, obwohl dort junge Menschen vor Diskriminierung, Hassrede und Desinformation nicht ausreichend geschützt würden.

Auch auf TikTok sind die meistgelikten Kommentare unter seinen Beiträgen oft negativer Natur. Beispielsweise wird immer wieder Scholz’ Rücktritt gefordert und auch seine Rolle in der Aufarbeitung des CumEx-Skandals ist häufig ein Thema in den Kommentaren unter seinen Videos. 

Zugleich erntete Scholz in den Kommentaren aber auch reichlich Zuspruch, als Nutzer ihn aufgrund seiner Videos beispielsweise als sympathisch und glaubwürdig beschrieben. Immer wieder gibt es außerdem Lob dafür, dass Scholz exklusive Einblicke in seinen Arbeitsalltag gewährt. Eins der Hauptthemen in den Kommentarspalten unter Scholz’ TikTok-Videos ist zudem die regelmäßig von Nutzern geforderte Dönerpreisbremse. Diesem Thema hat sich das Social Media-Team des Kanzlers sogar schon angenommen und ihn in einem Video erklären lassen, wieso die Dönerpreisbremse wohl nicht kommt.

5. Influencer-Potenzial

Es kann wohl ausgeschlossen werden, dass Olaf Scholz nach seiner politischen Karriere als Influencer durchstartet. Allerdings hätte Olaf Scholz durchaus das Potenzial dazu. Dafür spricht, dass schon jetzt Marken regelmäßig versuchen, die Kommentarspalten von Olaf Scholz zu kapern, um von der Aufmerksamkeit des Kanzlers zu profitieren. Darüber hinaus haben Scholz und sein Team auf TikTok sogar schon unbezahlte Werbung für mehrere Marken gemacht. So schraubt Scholz beispielsweise in einem Video mit einem Akkuschrauber von Bosch eine Schraube in eine Brennstoffzelle. Ein anderes Video zeigt Scholz mit einem Trikot des deutschen Fußball-Bundesliga-Siegers Bayer Leverkusen, auf dem das große Logo einer Versicherung prangt.

Besonders viel Aufmerksamkeit könnte Scholz aber wohl einem Werbepartner aus der Taschenindustrie verschaffen, denn bereits jetzt ist seine alte Aktentasche immer wieder der Mittelpunkt seines TikTok-Contents. In den Kommentaren unter diesen Videos wurde daher sogar schon gefordert, dass Scholz künftig die begehrte Birkin Bag der Luxusherstellers Hermes tragen soll. Dass diese Forderung Realität wird, erscheint allerdings so unwahrscheinlich wie Scholz’ Zukunft in der Creator Economy. Letzteres dürfte auch daran liegen, dass der TikTok-Account TeamBundeskanzler vermutlich in Zukunft von seinem Nachfolger oder seiner Nachfolgerin übernommen wird. Die aufgebaute Reichweite würde Scholz als Altkanzler also vermutlich gar nicht mehr nutzen können.

6. Fazit

Insgesamt lässt sich der TikTok-Auftritt des Kanzlers definitiv als mutig beschreiben. Scholz und sein Social Media-Team lassen sich voll auf die Plattform ein, probieren viel aus und versuchen nicht, den Kanzler immer nur perfekt aussehen zu lassen. Das macht Scholz nahbar und bringt ihm einige Sympathiepunkte ein. Gleichzeitig erntet er aber auch viel Kritik auf TikTok und wird wohl auch in Zukunft auf der Plattform unter besonderer Beobachtung von politischen Gegnern stehen.

Dass er bereits jetzt der drittgrößte TikTok-Influencer des Bundestags ist, hat natürlich vorrangig mit seinem Amt zu tun. Trotzdem konnte er seine Social Media-Reichweite durch TikTok enorm ausbauen. Zudem hat sein TikTok-Kanal in den kommenden Wochen sogar das Potenzial, der reichweitenstärkste aller Bundestagsabgeordneten zu werden. Somit können Scholz und sein Social Media-Team die politische Wahrnehmung von Politikern im Netz entscheidend mitgestalten.

Wie gut das gelingt, hängt einerseits von dem politischen Tagesgeschehen ab und andererseits davon, ob Scholz’ Social Media-Team es auch mittelfristig schafft, relevante Inhalte für TikTok zu produzieren. Dass der Kanzler die Plattform überhaupt nutzt, sendet aber schon jetzt das Signal an junge Menschen in Deutschland, dass er auch diese Zielgruppe erreichen möchte. Wie gut er das auf Dauer schafft, wird die Zukunft zeigen.